Im Gespräch mit dem Künstler Arnold Reinthaler

27. Mai 2023 Mehr

Er ist Bildhauer. Das bedeutet zunächst einmal, seine Werke sind physisch dreidimensional, sie nehmen Raum ein. Das Material ist für ihn nur der Ausgangspunkt für Reflexionen und Ideen.

Oft verwendet er schwarzen Granit, wie er vor langer Zeit auf Friedhöfen Verwendung fand. Dieser Granit ist für die Betrachtenden konnotiert mit Begriffen wie Ewigkeit oder auch Endgültigkeit, mit Erinnerung, mit dem Leben und der Sterblichkeit. Vielleicht, um sich des Lebens und des eigenen Seins bewusst zu werden, poliert er die Oberflächen seiner Steine auf Hochglanz. Somit spiegeln sich die Betrachter im Stein, werden sozusagen ein Teil des Kunstwerkes. Eine Metapher auf psychologische Schule des Konstruktivismus, die uns sagt, dass wir nur wenige Eindrucke über unsere Sinnesorgane bekommen, sodass ein Großteil unseres inneren Erlebens von unserem Gehirn gestaltet wird? Beim Betrachten erschafft man sich das Betrachtete, sozusagen. Heute spricht der Galerist Bernhard Fleischanderl mit dem Künstler Arnold Reinthaler über seine Kunst.

Fleischanderl: Arnold Reinthaler, wir sitzen gerade inmitten eines Observatoriums, wie du den Raum der Galerie Artosphäre bezeichnet hast, der gerade von deinen Arbeiten bespielt wird. Was beobachtest du, was interessiert dich an der Kunst?
Reinthaler: Wäre es nicht schön von hier aus mittels Fernrohr die Kunstwelt mit all ihren Stars betrachten zu können? Als stiller, aber genauer Beobachter der funkelnden Szene? Tatsächlich interessiert mich an der Kunst aber weniger ihre eitle Betriebsamkeit, vielmehr die Arbeit einer handvoll befreundeter Künstlerinnen. Konkret ihre gedanklichen und folglich ästhetischen Absonderlichkeiten über einen längeren Zeitraum mitzuverfolgen, um sich schließlich in Details zu verlieren und in deren Welten einzutauchen, das mag ich.

Und wie sieht es mit der eigenen Arbeit aus, was motiviert dich, immerhin sind wir gerade von deinen Weltbildern umzingelt?
(lacht) Ja, ja, zumindest einen kleinen Ausschnitt meines Kunstmachens gibt es hier zu sehen. Die in den Skulpturen dargestellten Sterne lassen mich ziemlich demütig werden. Sie werfen die Frage auf, wo genau — unter den unzähligen „Stars“ — meine Position als Künstler verortet ist. Letztendlich bin ich ein lächerliches Körnchen unter vielen, Kunstmachen ist unter dieser Prämisse eine ziemlich einsame Angelegenheit.

Dennoch, du ›machst‹ Kunst, wie du gerade gesagt hast, und das seit mehr als dreissig Jahren, tagein, tagaus. Was treibt dich an?
„Kunstmachen“ ist ein zentraler Begriff der 90er, in diesem Jahrzehnt habe ich studiert, das hat mich sehr geprägt. Kunstmachen betont den Prozess und weniger das fertige Werk. In meinem Fall ist dieser Prozess von einer bestimmten Obsession begleitet. Das ICH wird dabei meist als Material, mein Handeln als Vorlage verwendet. Mich interessiert die Frage, was einem Künstlersubjekt widerfährt, wenn dieses ICH täglichen Zwängen unterworfen ist, also selbst auferlegten Ritualen, und nicht von Muse und grenzenlosem Wahnsinn geleitet ist, wie man das gemeinhin Künstler*innen unterstellt. Zugegeben, das kann ganz schön langweilig sein…

Langweilig?
Ja, sowohl in der negativen Bedeutung des Wortes als auch im positiven Sinne. Viele meiner Arbeiten sind von einer sehr langen Dauer gekennzeichnet, meistens auch mit offenem Ende konzipiert. Ich arbeite täglich mit nur wenigen Schlägen oder Strichen an mehreren Werkstücken, die sich relativ ähnlichsehen. Die Herangehensweise ist vielleicht vergleichbar mit mittelalterlichen Dombauhütten, wo sich die Bildhauer noch nicht eitel über ihre Steinmetzkollegen hinwegsetzten, um eigene Meisterwerke zu schaffen, sondern mehrere, anonyme Werkstücke gleichzeitig bearbeitet haben, also noch ohne das Genie-Schildchen vor dem Atelier. Ich versuche da eher wie ein Bauer, der täglich in den Stall muss, oder wie ein Mönch, der tagein tagaus zu fixen Zeiten betet, meine Kunst zu produzieren. Der Versuch ist es wert, nämlich herauszufinden, ob sich über Techniken der Langeweile, diese unentwegten Wiederholungen, interessantere Räume auftun, als über das – unter kommerziellen Gesichtspunkten betrachtet – zweifelsohne sinnvollere Schaffen von schnell ansprechenden Kreativprodukten, die man in jedes Hotelzimmer hängen kann.

Repräsentativ hierfür ist deine Arbeit „long time recording“, an der du seit 15 Jahren arbeitest. Was hat es mit den Würfelchen auf sich?
Hier werden aus einer weißen Marmortafel täglich dreidimensionale Pixel rausgebrochen.

Ein Würfel steht dabei für eine Stunde, und ist er ausgeschlagen, dann handelt es sich um eine Stunde, die ich für die Produktion von Kunst verwendet habe. Mit einer horizontalen Linie ist die Stundenanzahl einer ganzen Woche visualisiert, 52 solcher Zeilen ergeben die Stundenanzahl eines Jahres, so viel ist auf einer Tafel zu sehen. Festzuhalten ist, dass es auch hier um ein Verzeichnen geht, einer an und für sich zweitrangigen Tätigkeit. Im Unterschied zum Zeichnen selbst, das immer von einer aktiven Leistung eines talentierten Autors ausgeht. Mit zunehmender Zeit ergibt sich hier eine bildhauerische Masse, die lang andauernde Arbeitsprozesse in den Mittelpunkt rückt und weniger die bildhauerische Idee eines dreidimensionalen Werkes.

„Zeitlichkeit“ ist, neben anderen Themen, tatsächlich zentral in deiner Arbeit …
Ich habe eine klassische Bildhauerschule absolviert, in Hallein bei Salzburg. Da lernt man zum Beispiel wie Figuren anatomisch richtig zu modellieren sind, gepaart mit Aktzeichnen und dem vollen Programm romantisch motivierter Bildhauerkunst. In den darauffolgenden Jahren habe ich gelernt, dass sowohl der Kunstbegriff selbst ständig in Bewegung ist als auch die Frage, was ›modellieren‹ in einem zeitgenössischen Kontext meinen könnte. Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich als Bildhauer nicht nur Figuren, sondern auch an Begriffen modellieren könnte. Und genau das mache ich. Zeitbegriffe wie Dauer, Langeweile, Serialität, Wiederholung, Endlosigkeit, Ewigkeit und dergleichen sind sozusagen meine neuen Denk- Figuren, an denen ich mich bildhauerisch abarbeite.

Apropos endlos, in deinem Atelier befinden sich nicht nur weiße Marmortafeln oder Modelle für diverse Leuchtschriften wie etwa für das sehr prominent platzierte ›TOMORROW‹ an einem Dach der Wiener Mariahilfer Straße. Sehr präsent sind auch die schwarzen Granittafeln, die an eine Art metaphysische Idee von Ewigkeit denken lassen. Auch der Ausstellungsraum, in dem wir uns gerade befinden, ist von schwarzem Granit dominiert, kannst du dazu etwas sagen?
Mit schwarzem Granit assoziieren viele Betrachterinnen Schwere, gewichtige Bedeutung, Repräsentation, vor allem aber zeitlichen Stillstand: Granit gibt es seit Anbeginn der Welt, er hält auch ewig. Diese einzementierten Konstruktionen von Ewigkeit kann ich nur dann unterwandern, wenn der Stein und alles, was man mit ihm verbindet, durch flüchtig gravierte Schriftzeichen irritiert und somit auch konterkariert wird. Dabei werden die Betrachterinnen immerzu eingeladen, ihren Blick nach vorne zu richten. Nicht Vergangenes wird durch die Gravur festgehalten, sondern in der Zukunft liegende Sprachräume, Lichtzeichen und dergleichen.

Beispiele?
Seit gut zehn Jahren ritze ich täglich einen Satz in schwarzen Granit, der mit MORGEN WERDE ICH beginnt. Unüberlegte, schnell formulierte Sätze über meine Welt, wie sie sein könnte, aber nicht ist. Vollendete Zukunft, festgehalten in das Erinnerungsmedium Granit. Oder, eine andere Arbeit, die den bewusst unfertig gravierten Satz ›Liebling, wie lange noch?‹ zeigt: Sie verweist auf einen noch nicht eingetretenen Zeitpunkt, verspricht eine mögliche Erlösung am Ende des langen Wartens. Aber auch neuere Arbeiten, wie die in der Galerie Artosphäre ausgestellten Sternencluster, beschäftigen sich mit einer Art Sehnsucht, die im wahrsten Sinne des Wortes in den Sternen liegt: Dargestellt werden keine astrologischen Sternenbilder, sondern Anhäufungen von Sternen, wie sie erst im Jahr 2066 zu sehen sind. Lichter, die vermutlich seit langer Zeit verloschen sind, hier eingefroren in Granit, der plötzlich erschreckend jung erscheint.

Was erwartest du dir selbst von der Zukunft?
(lacht) Dass das eben angesprochene Sternencluster, das letzte Bild ist, das ich sehen werde. Hierfür müsste ich allerdings 95 Jahre alt werden und in den Himmel schweben. Ich bezweifle, dass sich das ausgeht.

Kategorie: Aktuelle Ausgabe

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