Barrierefrei im Allgäu ART Hotel

20. März 2017 Mehr

All inklusive einmal anders

Ein Hotel, in dem sich Geschäftsreisende, Wellnessurlauber, Familien oder Menschen mit Handicap gleichermaßen wohlfühlen, hat Reinhold Scharpf, Geschäftsführer des Vereins für Körperbehinderte Allgäu, gemeinsam mit Rüdiger Mayer, Geschäftsführer von möbel mayer und der r&s mayer Hotel und Objekt GmbH, 2013 konzipiert und in der Region Allgäu in Kempten umgesetzt. Am 9. Dezember 2016 eröffnete das durch und durch integrative Allgäu ART Hotel Kempten schließlich als erstes komplett rollstuhlgerechtes Hotel im Allgäu mit 50 Doppelzimmern und sechs Appartments.

 

Allgäu ART Hotel

 
Der moderne Bau ist klar strukturiert – ein stylisches Stadthotel, dem man weder die Barrierefreiheit noch den Anspruch der Inklusion ansieht. Im Erdgeschoß befinden sich vielfältige Begegnungsräume wie Foyer, Restaurant, Bar und Spielbereiche inklusive Kletterwand, das erste Obergeschoß ist den beiden Seminarräumen vorbehalten und das fünfte Obergeschoß dem Wellness-Bereich mit Saunen, Behandlungsräumen und Sonnenterrasse.
In den öffentlichen Bereichen, wie auch in den einzelnen Zimmern, kann und soll sich der gehandicapte Mensch ebenso wie der Tourist und die Familie mit Kindern rundum wohlfühlen. Die geräumigen Duschen und Bäder werden auch von Geschäftsreisenden und Feriengästen als äußerst angenehm empfunden. Die Sitzgelegenheiten und Haltegriffe in der Dusche sind dezent integriert. Und dass die Waschbecken nicht unterbaut und um eine Nuance tiefer als gewohnt sind, stört nicht bzw. erfreut vor allem die kleineren Gäste.

 
Auch die Tische im Restaurant haben nicht die für den „genormten Gast“ übliche Höhe von 76 cm, sondern sind um zwei bis drei Zentimeter tiefer. Ein Kompromiss, der für Menschen mit und ohne Rollstuhl eben gerade noch oder schon als angenehm empfunden wird. Kompromisse gab es auch in Hinblick auf die Art der Behinderung, auf die im Allgäu ART Hotel Rücksicht genommen wird. So müssen Rollstuhlfahrer in den öffentlichen Bereichen wie Lobby und Spa, leichte Bodenunebenheiten in Kauf nehmen, und zwar am Boden aufgeklebte, taktile Leitsysteme aus Metall bzw. Kunststoff – eine Orientierungshilfe für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit.
Auch im Handlauf und an den Wänden sind taktile Informationsträger zur besseren Orientierung angebracht. Die verschiedenen Farben der einzelnen Stockwerke sowie kontrastreiche Hinweisschilder und Lichtschalter, erleichtern es nicht nur sehschwachen Menschen, sondern auch Kindern oder Gästen, die zum ersten Mal im Hotel logieren, den Weg zu Zimmer, Restaurant oder Wellnessbereich selbst zu finden.
Die einfache Orientierung im Haus trägt dazu bei, dass man sich mit der neuen Umgebung rasch vertraut machen kann, was bekanntlich zum Wohlbefinden des Gastes beiträgt.

 

 

 

Für Gäste mit vermindertem Hörvermögen bietet das Hotel Telefon und Gefahrenmelder mit Lichtsignalen. Ein Schalter neben der Tür ermöglicht es dem Personal außerdem, sich nicht nur durch Anklopfen, sondern auch durch ein Ton- und Lichtsignal anzumelden.
Integration bezieht sich im Allgäu ART Hotel übrigens nicht nur auf die Gäste. Knapp die Hälfte der hoteleigenen Mitarbeiter sind Menschen mit Handicap. Damit lebt das Allgäu ART Hotel Inklusion ungewohnt konsequent – all inklusive sozusagen.

 

Inklusion auf allen Ebenen

Reinhold Scharpf ist Geschäftsführer des Vereins für Körperbehinderte Allgäu, engagiert sich hier seit rund zwanzig Jahren und ist auch Mitglied im Landesverband Bayern sowie im Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen. Das Allgäu ART Hotel ist mittlerweile der dritte Betrieb in Kempten, in dem er als Initiator für Inklusion behinderter Menschen am Arbeitsplatz fungiert. Knapp die Hälfte der 45 Arbeitsplätze des neuen Hotels ist für Menschen mit Handicap vorgesehen.
Im Art Hotel sind nicht nur Gäste, sondern auch Mitarbeiter mit Handicap wesentlicher Bestandteil des Hotelkonzepts. Ein (leider) noch unüblicher Ansatz. Wie kam es dazu?

Arbeit zu finden, stellt für Menschen mit Handicap oft eine noch größere Herausforderung dar als die tatsächliche körperliche Einschränkung. Wir betreiben deshalb in Betzigau bei Kempten einen eigenen Lebensmittelmarkt, wo Inklusion bereits bei der Stellenausschreibung explizit gelebt wird. Auch das bestehende smartMotel in Kempten, das wir seit zwei Jahren betreiben, bietet für Menschen mit und ohne Handicap gleichermaßen Arbeit.

 

Wie sind hier Ihre Erfahrungen?

Im Markt, wo das Konzept der Inklusion von Anfang an umgesetzt werden konnte, haben wir auch von Anfang an sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Zusammenarbeit funktioniert ausgesprochen gut und der Betrieb läuft reibungslos.

 

Und im smartMotel?

Mit dem neuen Konzept kamen auf die bestehenden Mitarbeiter natürlich auch neue Herausforderungen zu. Anfängliche Bedenken, dass ein körperlich oder in seiner Lernfähigkeit eingeschränkter Kollege eher Arbeit verursachen als übernehmen könnte, konnten erst im tatsächlichen Arbeitsalltag ausgeräumt werden. Aktives Teambuilding und eine hellhörige Mitarbeiterführung sind natürlich von Vorteil und wichtig bei der Umsetzung.

 

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in der Praxis?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter mit Handicap meist sehr motiviert und auch sehr selten im Krankenstand sind. Das wirkt sich auch positiv auf die Motivation der Kollegen aus.

 

Muss man auch Zugeständnisse machen?
Ja. Wir haben gesehen, dass die Belastung einer Vollzeitbeschäftigung für Menschen mit Behinderung oft nur schwer zu bewältigen ist. Sehr gut funktioniert daher für beide Seiten in vielen Fällen eine Anstellung im Ausmaß von etwa 80% einer Vollzeitstelle, was ca. 32 bis 35 Wochenstunden entspricht.

 

Haben Sie Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter zu finden?

Üblicherweise haben Menschen mit Behinderung in Tourismus und Gastgewerbe selten eine fachspezifische Ausbildung oder Berufserfahrung. Hier in Kempten sind wir aber sehr gut vernetzt. Wir arbeiten eng mit den Behindertenverbänden auf der einen und den Fachschulen auf der anderen Seite zusammen, schulen unsere Mitarbeiter entsprechend und haben dann sowohl im Service als auch in Küche oder Büro rasch sehr kompetente Kollegen.

 

Rechnet sich ein Betrieb, der so konsequent auf Inklusion setzt, eigentlich auch wirtschaftlich?

Das wollen wir hoffen! Bei der Errichtung konnten wir zum Teil auf private Spenden sowie auf öffentliche Fördergelder zurückgreifen. Damit haben wir vor allem jene Ausgaben gedeckt, die durch die barrierefreie und behindertengerechte Bauweise und Ausstattung entstanden. Für jeden Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung können wir außerdem beim Integrationsamt einen Zuschuss beantragen. Damit sind wir in der Lage, entspannter zu agieren, wenn ein Mitarbeiter vielleicht einmal etwas mehr Zeit für seine Arbeit benötigt. Im laufenden Betrieb müssen wir dann aber genauso marktorientiert wirtschaften wie jedes andere Unternehmen. Und genau da sehen wir unser Potenzial. Der Markt ist da. Und wir sind es auch.

 

Das Allgäu Art Hotel ist in seiner konsequenten Umsetzung sicher einzigartig. Gibt es dennoch den einen oder anderen Tipp, den Sie unseren Lesern ans Herz legen möchten?

Ja – in Bezug auf Gäste mit Handicap habe ich die Erfahrung gemacht, dass bereits ohne große Investitionen viel verbessert werden kann. Etwa durch eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit eingeschränkter Mobilität, Seh- oder Hörfähigkeit, damit diese soviel Unterstützung erhalten, wie sie benötigen bzw. wünschen. Und taktile Leitsysteme, kontrastreiche Orientierungshilfen und zusätzliche Lichtsignale lassen sich auch meist ohne großen Aufwand nachrüsten.
In Bezug auf Mitarbeiterführung möchte ich alle Arbeitgeber in Tourismus und Gastgewerbe ermutigen, Inklusion künftig noch mehr in Betracht zu ziehen. Kollegen mit Handicap sind oft eine ungeahnte Bereicherung für das Team. Darüber, wie Menschen mit Behinderung optimal in den eigenen Arbeitsalltag integriert und welche Förderungen beantragt werden können, informieren die jeweiligen Integrationsstellen dann gerne ausführlich und kostenfrei.

 

 

Funktionalität ist nicht alles

Für Konzept, Planung und Ausführung der (barrierefreien) innenarchitektonischen Gestaltung – von der technischen Planung, über die Projektleitung und -steuerung bis hin zum Marketingkonzept – zeichnet die r&s mayer Hotel und Objekt GmbH verantwortlich. Entstanden ist ein Ort zum Entspannen und Entschleunigen für Gäste mit und ohne Handicap gleichermaßen – und das alles unter Berücksichtigung von Investitionsbudget und Wirtschaftlichkeit. Wir befragten Rüdiger Mayer, Geschäftsführer der r&s mayer Hotel und Objekt GmbH, zu den besonderen Herausforderungen dieses ungewöhnlichen Hotelprojekts:

Inwieweit unterscheidet sich das Allgäu ART Hotel von anderen Hotelprojekten?
Wir realisieren seit vielen Jahren Ferienhotels, aber auch immer wieder Stadthotels. Vor allem im Allgäu. Hier kennen wir die Hotellerie und den Tourismus. Und diese Erfahrungen sind natürlich auch in die Konzeptionierung des Allgäu ART Hotels eingeflossen. Die umfassende Barrierefreiheit und die Einbeziehung der unterschiedlichen Behindertenverbände waren dann eine spannende Aufgabe.

Wie sind Sie an das Thema herangegangen?
Wir haben seit Anfang 2013 intensiv mit dem Investor und dem künftigen Betreiber des Hotels zusammengearbeitet, haben uns in anderen Hotels umgesehen, die Gäste mit Handicap gezielt ansprechen, uns von einigen Ideen inspirieren lassen und auch festgestellt, was wir so nicht machen wollen. Im September 2013 präsentierten wir dann das Konzept. Wichtig war es dann, eine bzw. mehrere Zielgruppen zu definieren und für diese ein Konzept zu entwickeln, das an diesem Standort auch langfristig gut funktioniert.

Sie haben mit Ihrem Team auch das Marketingkonzept inklusive der Namensfindung erstellt. Welche Themen standen dabei im Fokus?
Damit das neue Hotel schon während der Bauphase entsprechend beworben werden konnte, haben wir ein stringentes Konzept entworfen, das bereits am Namen ablesbar sein sollte: „Allgäu“ steht für die Region, für den Standort und für das Gestaltungs- und Themenkonzept im Hotel, das die Bereiche Natur, Ruhe und Entschleunigung vereint. Der Zusatz „ART“ weist auf die außergewöhnliche und künstlerische Gestaltung der öffentlichen Bereiche und der Zimmer hin. Er steht zudem auch für die Allgäuer Art.
Im Grundton der Werbung entschieden wir uns für ein klares Design in Verbindung mit auffallender Bildsprache und kreativen Akzenten. Die Kombination aus Natur- und Ästhetikdesign sollte mit Adjektiven wie modern, natürlich, sympathisch, anders oder auffallend assoziiert werden. Durch die einheitliche Gestaltungsgrundlage aller Werbemittel wird beim Gast ein Wiedererkennungswert geschaffen und das Objekt bleibt ihm im Kopf.

Inwieweit hat das Allgäu ART Hotel für Sie Vorbildwirkung für die Hotellerie und ihre Planer?
Das Hotel in Kempten ist sicher etwas Besonders, das man nicht eins zu eins an jedem anderen Standort umsetzen kann. Das Engagement und die Erfahrung der Betreiber, die Kompetenz der Mitarbeiter und die direkte Nachbarschaft zum ebenfalls neu errichteten Therapiezentrum sind Voraussetzungen, die man eben nicht überall findet. Manche Überlegungen, wie eine kontrastreiche Gestaltung und taktile Orientierungshilfen, großzügige Bäder und barrierefreie Spa-Bereiche, lassen sich natürlich auch an anderen Standorten umsetzen. Hier haben wir in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Verbänden wertvolle Inputs erhalten, die wohl auch in andere Projekte einfließen werden. Was wir aber unabhängig von Standort und Ausrichtung eines Hotels jedem Bauherrn empfehlen können, ist eine exakte Definition der eigenen Zielgruppe. Je besser ich meine Gäste kenne, je besser ich weiß, wen ich ansprechen möchte, um so besser kann ich auch für diese Zielgruppe planen!

 

Allgäu ART Hotel
Adresse: Alpenstraße 9, 87435 Kempten,
Web: www.allgaeuarthotel.de
Bauherr: IB Management GmbH / Walter Bodenmüller
Betreiber: Allgäuer Integrationsbetrieb-Hotel-GmbH
Planer: Architekturbüro Johanna Chechelski

Gesamtkonzept, Interieur, Wellness:
r&s mayer Hotel- und Objekt GmbH

Projektleitung:
Ingenieur Büro Grau, r&s mayer Hotel und Objekt GmbH

Boden: Project Floors, Infloor
Sauna- und Dampfkabinen: Aqua Vitalis

Baukosten: Innenausbau & Barrierefreiheit: 2,5 Mio. €
Gesamt: 10 Mio. €

Fotos:© Klein & Schneider / r&s mayer Hotel und Objekt GmbH

 

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Kategorie: Innovationen, Schlagzeilen

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