Food-Trends und Ihre Folgen

16. März 2017 Mehr

Geräumige Restaurants mit gehobener Wirtshausküche, die sich noch vor einigen Jahren zahlreicher Gäste erfreuen konnten, bleiben heute immer öfter leer. Laut Baum+Whiteman, einem auf die Entwicklung von High-Profile-Restaurants rund um die Welt spezialisierten Unternehmen aus New York, könnte dies unter anderem daran liegen, dass so mancher Betreiber aktuelle Trends zu wenig berücksichtigt.

Woher diese Trends kommen und wie man ihnen erfolgreich begegnen kann, damit beschäftigen sich Branchenkenner weltweit. Eine der bekanntesten im deutschsprachigen Raum ist Hanni Rützler, die ihre jüngsten Beobachtungen im Foodreport 2017 zusammengefasst, herausgegeben vom Frankfurter Zukunftsinstitut in Kooperation mit der deutschen LebensmittelZeitung, vorstellt.
Wir fassen für Sie die aktuellsten Beobachtungen aus beiden Studien zusammen:

 

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© Svyatoslav Lypynskyy

 

Casual Fast

Zuhause isst man günstiger. Das war schon immer so und wird wohl auch so bleiben. Hinzu kommt, dass die Preise im Lebensmittelhandel stetig zu fallen scheinen, während Restaurants mit immer neuen Auflagen zu kämpfen haben. Steigende Preise für Miete oder Pacht, Sozialleistungen und weitere staatliche Vorgaben, wie hierzulande etwa die nun noch einmal verschärfte Registrierkassenpflicht oder Verunsicherungen beim Nichtrauchergesetz, sorgen für hohe Zusatzkosten, die an den Gast weitergegeben werden müssen. Baum+Whiteman haben beobachtet, dass vor allem Casual Restaurants besonders gut mit dieser Preisschere zurecht kommen dürften. Diese bieten qualitativ anspruchsvolle Speisen in lässigem Ambiente und sprechen damit vermehrt eine noch relativ junge, jedoch vergleichsweise einkommensstarke Zielgruppe an, die noch keine allzu hohen Fix-Ausgaben und somit ausreichend Kapital für Qualität zur Verfügung hat.
Wer dazu noch Casual Fast Food, Burger und Pizza, aber auch Suppen und Eintöpfe, als Snack-to-go anbietet – möglichst aus wertigen Zutaten – kann außerdem noch mehr Gäste bewirten als Gastraum vorhanden sein muss.

 

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© Africa Studio

 

Virtuell oder Mixed Use

Eine weitere Alternative zu teuren Mieten ist folgerichtig das „virtuelle Restaurant“, das dank vielfältiger Liefersysteme gleich gänzlich auf den Gastraum verzichtet und Gäste direkt in deren eigenen vier Wänden bewirtet.
Eine andere Möglichkeit, Kosten für Gasträume, Sanitäreinrichtungen u.s.w. zu senken, ist die des Room-Sharings. Wer unterwegs ein Restaurant sucht, findet dieses immer öfter auch in traditionellen Non-Food-Bereichen. Dass man neuerdings auch mitten in Lebensmittelhandel, Bankgebäude oder Modeboutique speisen kann, scheint nicht nur für Vermieter und Mieter von Retailflächen Sinn zu machen, sondern auch dem ohnehin auf Konsum eingestellten Gast zu gefallen.
Lediglich die begrenzten Öffnungszeiten sind hierzulande noch ein Hemmschuh. Denn Essen sollte man nicht, kann man aber bekanntlich rund um die Uhr. Zugegeben, nachts nicht überall, dafür untertags nahezu alles.

 

 

Brunch, Brinner… Bright?

Ein faszinierendes Beispiel für tageszeitunabhängige Speisen ist das Frühstück, das sich weit über das Lunch hinaus bis zum Dinner ausgeweitet hat, demnach auch eher als Brunch oder Brinner denn als Breakfast betitelt wird und künftig wohl auch immer öfter rund um die Uhr – also auch bis in die Nacht genossen werden kann.
Gleichzeitig gehören zum modernen Frühstück immer mehr Müslis, Porridge und auch deftige Speisen, sodass der obligate Kaffee mit Buttersemmerl und Marmelade zunehmend von der Speisekarte verschwindet. Paradoxerweise ist das klassische Frühstück also – parallel zu seiner wachsenden Beliebtheit – vom Aussterben bedroht.

 

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© karepa

 

Was wird gegessen?

Was gegessen wird, bestimmen – so Baum & Whiteman – nicht mehr primär Restautants und deren Kritiker. Und die beliebtesten Trends kommen nicht – wie noch vor dreißig oder vierzig Jahren – von den Speisekarten allmählich in die Lebensmittelgeschäfte und von dort in die privaten Küchen. Dass die Food-Branche im Wandel begriffen ist, konstatiert auch die deutsche Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler. Sie identifiziert dabei zahlreiche junge Start-up-Unternehmen, die ihre Innovationen viel direkter und erfolgreich an den Konsumenten bringen, lange bevor diese von Restaurants aufgegriffen werden.

 

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© Lukas Gojda

 

Innovative Konzepte

Die Big Player der Branche halten wohl noch etwas länger an bewährten Konzept fest, doch innovative Ideen junger Start-ups entwickeln neue Produkte, Services und Strategien und erobern mehr und mehr Raum. Ein Beispiel für ein sehr innovatives Konzept ist Nemo’s Garden vor der Küste der italienischen Stadt Noli. Hier werden – da an Land nicht möglich – u.a. Basilikum und Erdbeeren unter Wasser angebaut. Das Verfahren dazu heißt Aquaponik und umfasst neue Techniken der Aufzucht von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokultur. Rützler sieht gerade im „Essen aus dem Meer“ das größte Potenzial für die Ernährung der Zukunft.

 

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© PhotoSG

 

Wissen was drin ist

Gefragt sind aber nicht nur produktionstechnologische Innovationen, sondern auch neue Rohstoffe und Alternativen zu Fleisch sowie alternative Inhaltsstoffe und Lebensmittel, die spezielle Bedürfnisse befriedigen. Denn der stetig steigende Anspruch auf individualisierte Gesundheit beeinflusst auch die Food-Branche zunehmend. Dazu sollen künftig unter dem Stichwort Food Hacking Grundnahrungsmittel auf ihre molekularen Bestandteile heruntergebrochen und maßgeschneidert wieder zusammengesetzt werden können.
„Man kann sich darauf versteifen, dass Fleisch von Tieren kommt – oder sich überlegen, woraus es besteht: Aminosäuren, Lipide, Kohlenhydrate, Mineralien, Wasser, wird etwa Ethan Brown, Gründer des Biotech-Unternehmens Beyond Meat zitiert. Die Bestandteile dazu kann man auch aus Pflanzen gewinnen. Massentierhaltung inklusive Treibhausbelastung könnte dann ebenso Geschichte sein wie viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen, denn im Labor ließe sich das Fleisch nachträglich mit Vitaminen und gesunden Fettsäuren anreichern.

 

Wissen woher’s kommt

Fleischkonsum wird zunehmend kritisch betrachtet. Sei es in den Medien, wo die Auswirkungen der Massentierhaltung auf den Treibhauseffekt mittlerweile fast täglich diskutiert werden. Sei es in den großen Lebensmittelketten, wo die Lieferkette vom Regal über den Schlachter bis zum jeweiligen Züchter und dem dort möglichst artgerecht gehaltenen Tier rückverfolgbar scheint. Auch im Restaurant erwartet der Gast heute mehr Transparenz als früher. Demzufolge sind nicht nur die obligaten Allergene, sondern oft auch die jeweiligen Lieferanten (oder ein Best-of) in der Speisekarte verzeichnet. Bauer, Züchter und selbst der Schlachter treten aus dem Schatten der Anonymität – und auch das ehemals „glückliche“ Tier selbst ist immer öfter via Fotobeilage zu sehen. Besonders gut verkaufen sich – im Handel wie auch im Marketingkonzept von Hotel und Gastronomie – Verweise auf lokale Produzenten. Regionalität schafft Vertrauen, impliziert kurze Lieferwege und damit ein gutes Gefühl in Hinblick auf die Umweltbelastung sowie auf die Frische der Ware – und stärkt die Wirtschaft der eigenen Region. Hanni Rützler konstatiert sogar eine weitere Steigerung von Regionalität zu einem regelrechten „Brutal Lokal“-Boom.

 

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© rh2010

 

Gemüse boomt

Optimal kommen Kräuter aus dem eigenen Garten, Wildkräuter von der Alm nebenan und Gemüsesorten nur dann auf den Teller, wenn sie auch tatsächlich in der Region Saison haben. Saisonal und regional sind als neue Werte bereits vielerorts in der Gastronomie angekommen. Und auch der Veggie-Trend scheint nun endgültig auch im Gasthaus angekommen zu sein. So wandern vegetarische und vegane „Alternativen“ immer mehr ins Zentrum der klassischen Speisekarte. Gemüse ist nicht mehr nur Beilage, verdrängt aber als solche gleichzeitig Nudeln & Co. Statt Mehl, Wasser und Ei sind so auch zunehmend Erbsen und Bohnen Basis einer modernen Pasta. Fehlt scheinbar nur noch der Pizzateig auf Gemüsebasis…

 

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© Alexander Raths

 

Schmecken muss es!

Damit neue Speisen und Zutaten aber vom Konsumenten angenommen werden, muss eines auf jeden Fall überzeugen: der Geschmack. Denn Nahrungsaufnahme war und ist vor allem ein sensorisches Abenteuer. Selten war der Mensch so experimentierfreudig wie heute. Umso mehr Raum bietet sich aber auch für neue Methoden: Mit Flavor Science und Synthetischer Biologie etablieren sich Wissenschaften, die mit neurowissenschaftlichen und molekularbiologischen Methoden dem Geschmack und den Möglichkeiten, diesen zu beeinflussen, auf der Spur sind. Doch nicht nur im Labor, auch in der Küche wird mehr denn je experimentiert: Exotische oder längst vergessene Zutaten und Methoden der Zubereitung, wie etwa das Fermentieren, sorgen immer wieder für überraschende neue Aromen. Und auch von bekannten Pflanzen und Tieren werden heute Teile gegessen, denen lange Zeit kaum Beachtung geschenkt wurde. Im „grünen Bereich“ sind dies etwa Karottenspitzen, Rüben- und Senfgrün. „Neue“ Zutaten, die auch gänzlich neue Geschmacksrichtungen eröffnen. Kombiniert werden diese dann mit ungeahnten sensorischen Überraschungen. Gewürze wie Kümmel, Safran, Kren und Kurkuma, aber auch Zitronengras, Ingwer, Koriander, Kardamom, Kümmel, Nelken und Zimt, sowie Garnelenpaste, Senfkörner, Chili und scharfe Zitrussäfte werden zu immer neuen Currys zusammengestellt. Neben bekannten Küchenstilen wie der mediterranen, asiatischen oder gutbürgerlichen Küche etabliert sich daher auch ein neuer Trend, der die unterschiedlichen Stile miteinander kombiniert. Laut Hanni Rützler ein Trend, der vor allem von Kalifornien ausgeht und demnach als „Kalifornische Fusionsküche“ bezeichnet werden kann.

 

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© svetla_zarzamora

 

Und das Auge isst mit…

Während Hanni Rützler bei Präsentation und Genuss von Speisen einen höheren ästhetischen Anspruch der Gäste wahrnimmt und die Kombination aus Ambiente, Tableware und Fooddesign als Trend zur „Ess-thetik“ bezeichnet, beobachten Baum + Whiteman die wachsende Freude am Experimentieren auch in optischer Hinsicht. Sie verweisen dabei besonders im Bereich der Süßspeisen auf bizarr anmutende Kreationen, die sich – aus dem asiatischen Raum kommend – zur Zeit in den U.S.A. etablieren und von dort aus wohl auch bald Europa erreichen könnten:
Zu personalisierten Schokoladen in 3-D-Print und Frozen Yoghurt und Eis aus diversen Gemüsesorten gesellen sich eiskalte Dessert-Trends, wie der Freakshake, ursprünglich aus Australien, und der Ice Cream Rollup aus Thailand:
Für den Rollup werden dünne Schichten von flüssigem Eis auf einer gekühlten Metallplatte gefroren, in engen Kreisen heruntergekratzt, auf einer Tasse platziert und verziert. Und ein Freakshake ist ein Freestyle-Milch-shake auf Eis, so viel Sauce und Schlagobers wie möglich und dann noch Unmengen von Kuchen, Keksen, Donuts, Eiscreme-Sandwiches und verschiedenen Süßigkeiten, bis das Gebilde zu stürzen droht.
Verrückt – ja, aber doch eine wohltuende Gegenbewegung zum allzu gesunden, korrekten und rationalen Speisetrend, oder? Zumindest aber eine Anregung, den eigenen „verrückten“ Ideen eine Chance zu geben, um den Gast zu überraschen, zu begeistern und letztlich immer wieder neu für sich zu gewinnen.

 

Weiterführende Informationen:
www.baumwhiteman.com
www.zukunftsinstitut.de

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Kategorie: Branchentipps, Food, Gastronomie | F&B, Schlagzeilen

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