Dramaturgie der süßen Kunst

6. April 2017 Mehr

Jonglage mit Aromen

Die Ikone unter den Pâtissiers ist Pierre Lingelser. Seit zwanzig Jahren ist der Chefpatissier des 3-Sterne-Restaurants Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn / Schwarzwald für Geschmacksexplosionen am Ende eines Menüs bekannt. Seine Kreationen begeistern die Gourmetwelt. Ideenreich und vielfältig interpretiert er seine Kompositionen und macht aus dem Dessert selbst ein Kunstwerk.

 

Dramaturgie der süßen Kunst

Das Dessert auf dem Teller gleicht einem gemalten Kunstwerk – mit dem einzigen Unterschied, dass zuerst das Auge überrascht und dann die Geschmackspapillen zu jubeln beginnen. Jedes Lingelser-Dessert besitzt eine eigene Dramaturgie. Unabdingbar mit der Aussage verbunden sind die einzelnen Komponenten eines Desserts, die bei Lingelser bewusst inszeniert werden. Jedes Detail ist geplant und jedes Detail ist einer räumlichen Formation zugeordnet, um durch den Aufbau die optische Wirkung rund um das finale Produkt zu erhöhen. Inspirationen kommen bei ihm wie bei einem Musiker. „Man hört etwas und entwickelt eine Idee weiter“, so Lingelser, der sich selbst als Teamworker bezeichnet. „Ich lasse meine Rezepturen gerne probieren und spreche dann darüber. Wenn man die Reaktion der anderen bekommt, kann man darauf reagieren.“ Kommunikation ist für ihn das Wichtigste in seinem Metier. „Eine Basisidee alleine genügt nicht, man muss den Nerv, beziehungsweise den Geschmack der Gesellschaft treffen – und das zu 90 Prozent.“ Lachend ergänzt Lingelser: „Was nur einem alleine schmeckt, ist nicht immer gesellschaftsfähig.“ Entscheidend sind oftmals nur kleine Nuancen um optisch ebenso wie geschmacklich ein Dessert zu verfeinern. Der Top-Pâtissier agiert dabei immer als Gastgeber und denkt an das kulinarische Wohl seiner Gäste à la française – wobei ein gutes Produkt im Vordergrund steht.

 

Pierre Lingelser

 

„Genuss, der begeistert  – Momente, die bleiben“

Gemäß der Philosophie der Traube Tonbach steht Lingelser für professionelle Gaumenfreuden mit persönlicher Note. Seit vielen Jahren arbeitet der Elsässer im Schwarzwald. Damit ist er in zwei Welten zu Hause – und lässt sich doch von keiner vereinnahmen. Die Laufbahn des gebürtigen Straßburgers begann vor genau vierzig Jahren mit der Lehre in der Konditorei „Belle Chocolatière“ in seiner Heimatstadt. 1979 wurde er zum „besten Lehrling des Elsass“ gekürt und unter der Jury-Präsidentschaft von Gaston Lenôtre wurde er als Konditormeister 1992 Sieger des „Grand Prix du Dessert“ im Straßburger 3-Sterne-Restaurant Buerehiesel. Im darauffolgenden Jahr zog es ihn ins Sterne-Restaurant Schwarzer Adler nach Baden an den Kaiserstuhl und 1996 startete er seine Karriere als Chef Pâtissier in der Schwarzwaldstube – Hotel Traube Tonbach: Vom Gault & Millau zum „Pâtissier des Jahres 2004“ ausgezeichnet, folgte der Schlemmeratlas zum „Pâtissier des Jahres 2009“ und 2012/13 ernannte „Der Feinschmecker“ Lingelser zum „besten Pâtissier“. Mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt ist der „Chef“, wie er von seinen Mitarbeitern liebevoll genannt wird, zudem Präsident des Wettbewerbs „Pâtissier des Jahres“.

 

Zuckerperle Lingelser

 

Hommage an die Vielfalt

Die Küche des Gourmetrestaurants Schwarz-waldstube zählt zu den besten Restaurants in Europa und hält seit 22 Jahren die Höchstpunktzahl von 19,5 im Gault & Millau und am längsten in Deutschland drei Sterne im Guide Michelin unter Leitung von Küchenchef Harald Wohlfahrt. „Bei ihm wollte ich arbeiten“, so Lingelser, der mit 36 Jahren den Posten des Chefpâtissiers in der Schwarzwaldstube antrat und mittlerweile ein Team von zwölf Personen in der Pâtisserie führt. Das Aufgabenspektrum ist vielfältig und fordert den Pâtissier auch als Konditormeister in der ganzen Vielfalt und Palette des Berufes: Von Pralinen über Kuchen und Gebäck bis hin zu den jährlich rund 700 Christstollen für Gäste ist alles selbst gemacht. Zudem ist das Repertoire für individuelle Hochzeitstorten mit der Übernahme des Schlosshotel Monrepos in Ludwigsburg kontinuierlich gewachsen. Formtorten mit Marzipanrosen als Dekor werden von Hand modelliert und individuell gefertigt. Zu diesem Standardrepertoire erfüllt Lingelser aber auch ausgefallene Wünsche wie das Disneyland-Schloss, das er als Hochzeitstorte umsetzt und vom Schwarzwald aus in die idyllisch am Bodensee gelegene Schlossanlage im Neuen Schloss Meersburg liefert, die durch die Traube Tonbach bewirtschaftet wird.

 

Markenzeichen Zuckerperle

Markenzeichen des Pâtissiers ist die „Zuckerperle“ als Dessert auf dem Teller. Die aufwendige Nachspeise begeistert seit zwei Jahren durch farbliche Variationen und fein abgestimmte Geschmackskomponenten, die jeweils saisonal angepasst sind. Violett ist die Zuckerperle mit Zwetschken -Glühweinsorbet zur Winterzeit. Besonderen Glanz verleiht dem mit pikantem Ingwer-Apfel-Espuma gefüllten Dessert ein hauchdünnes Stück Blattsilber. Ein bisschen Zimt ist im Crumble zu erkennen und die Walnüsse liefern die leicht bittere Note, die bestens mit dem Ingwer korrespondiert. Als „wilde Zwetschke“ krönt das „Zibärtle-Bonbon“ in flüssiger Form das Zwetschken-Glühweinsorbet auf einem Apfel-Zwetschkenkompott. Lingelsers Augen leuchten. „Wenn ich auf ein Thema wie die Zwetschke gehe, dann mache ich alles passend, bis hin zur Farbe.“ Für den Klassiker unter den Desserts werden jeden Samstagabend rund 80-100 Zuckerperlen gefertigt, um den wöchentlichen Bedarf des Gourmetrestaurants zu decken.

 

 

 

Zuckerperle Lingelser

 

Anspruchsvolle Kompositionen

Lingelser liebt und lebt das Spiel mit Temperaturen oder unterschiedlichen Texturen. Zu den hauptsächlich verwendeten Komponenten gehören für ihn ein bisschen Säure und eine Prise Salz. „In der Küche ist ein Trend von süßen Nuancen zu spüren, daher ist es bei den Nachspeisen heute eher umgekehrt.“ Phantasievoll wählt er Zutaten und komponiert so stets neue, überraschende Geschmackserlebnisse. Für das Frühjahr im Luxussegment hat er eine noch aufwendigere Zuckerperle mit Sanddornsorbet, Gewürzorangen und einem Knusperbonbon von Whisky kreiert. Aktuell begeistert sein Savarin Muscovado auf Zimtmolkengelee mit Mangosorbet und Indischen Gewürzen. Eindrucksvoll wird der geeiste Kir Royal mit einem Sorbet von rosa Pampelmuse und Timut Pfeffer in einer doppelwandigen Glasschale mit prickelndem Champagnerschnee und Kaviar von Cassis mit Petazeta Brause angerichtet. Mit flinken Händen arbeitet das eingespielte Team von Lingelser an den Desserts, die vor dem Espresso zum Menü gereicht werden. Im Anschluss lockt eine Auswahl an Petits Fours. Haselnuss-Brownie, Yuzu-Makrone, Matchatee-Heidesand mit Mini-Kiwi, Trüffel mit Zwetschkengelee und Zimtganache auf Zimtstreusel sowie ein Ingwer-Limonen Marshmallow sind die klingenden Namen der anspruchsvollen Lingelser-Kompositionen aus der Welt der süßen Genüsse.

 

Für unsere Leser haben wir das Rezept für die Grünen Zuckerperlen

von Patissier Pierre Lingelser bereitgestellt .

 

 

Text: Sabine Zoller

Fotos: © Tillmann Franzen, Sabine Zoller

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Kategorie: Food, Gastronomie | F&B, Schlagzeilen

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