Architektin Anja Pangerl im Gespräch

4. Februar 2016 Mehr

Was die Hotellerie vom Handel lernen kann. Anlässlich der Fachtagung „Bau und Betrieb von Hotels“ in Frankfurt am Main am 7. September 2015 referierte die Architektin und Innenarchitektin Anja Pangerl, Partnerin beim Stuttgarter Architektur- und Innenarchitekturbüro Blocher Blocher Partners darüber, was Hotels vom erlebnisorientierten Einzelhandel lernen können. Ausgehend von den gestalterischen wie szenografischen Ansprüchen an erfolgreiche Hotelkonzepte von morgen erläuterte sie die Parallelen zu erprobtem Retaildesign und verwies so auch auf die mögliche Nutzung bestehender Kompetenzen. Im Gespräch mit hotelstyle & gastro ging die Architektin noch einmal ins Detail.

Anja_Pangerl

Ein Ansatz des Vortrags war die aktuell beobachtbare Renaissance der Städte. „Eine Stadt,“ so Anja Pangerl, „ist ein hochkomplexes Gebilde, bestehend aus unterschiedlichen Schichten und Strukturen, die miteinander verwoben sind und sich gegenseitig bedingen. Sie sind nicht immer sichtbar, bestimmen aber Urbanität, Lebensqualität und Wandlungsfähigkeit und machen sie zu einem Inkubator für den gesellschaftlichen wie technischen Fortschritt.“ Aufgabe der Architekten ist es, an der Steigerung der Lebensqualität einer Stadt mitzuwirken. So konzipierten Blocher Blocher Partners das Stadtquartier Q 6 Q 7 im Herzen Mannheims als Symbiose aus Einkaufsgalerie, Gastronomie, Wohnungen und Büros. Weiters verfügt der neue Stadtteil auch über eine Tiefgarage, Wellness- und Gesundheitseinrichtungen sowie ein Vier Sterne Superior Hotel.

Das Hotel eingebettet in einem multifunktionalen Stadtquartier – was bedeutet das konkret für die Architektur?
Verdichtete Strukturen in Innenstädten werden immer wichtiger, man denke etwa an den begrenzten Raum und die steigenden Grundstückskosten. Aus architektonischer Sicht besteht hier eine besondere Herausforderung in der städtebaulichen Integration auf der einen Seite und der Balance zwischen eigenständigem Ausdruck, beispielsweise durch die Ablesbarkeit an der Fassade, und Integration ins Gesamtensemble der einzelnen Funktionen auf der anderen. Je mehr aus einer Hand geplant wird, desto eher gelingt dieser Spagat.

Interdisziplinäre Verbindungen werden auch zwischen Retail und Gastronomie immer beliebter. In wieweit unterscheiden sich Restaurants im Retailumfeld von herkömmlichen Gastronomiebetrieben?
Da gibt es kaum Unterschiede. Aus gestalterischer Sicht steht für mich das Ambiente im Vordergrund. Schauen Sie sich Opus V in Mannheim und Johanns in Waldkirchen an. Beide Restaurants haben es binnen kurzer Zeit geschafft, mit einem Stern ausgezeichnet zu werden und würden auch als Solokonzept funktionieren. Wichtig ist, dass, obwohl eingebettet, ein Restaurant seinen eigenen Charakter hat und diesen auch bewusst nach außen trägt. Daher halten wir einen zusätzlichen separaten Eingang für essenziell, um den Zugang auch außerhalb des Verkaufs zu sichern. Und dennoch müssen Handel und Gastronomie einander befruchten und für den Kunden wie eine Einheit wirken. Restaurants in Modehäusern bzw. Department Stores sind eben auch Teil des Einkaufserlebnisses und in die Gebäudestrukturen von engelhorn beziehungsweise Garhammer eingebettet. Sie bedeuten einen Mehrwert für den Kunden, weil sie auf die Handelsmarken einzahlen – auch indem sie die exzellente Serviceorientierung dieser Unternehmer unterstreichen. Wenn ich einen Unterschied benennen müsste, dann liegt dieser in der Motivation der Gäste. Geht es üblicherweise bei der Wahl des Restaurants um das gastronomische Angebot, werden Restaurants im Retailumfeld dagegen öfter auch ganz spontan angesteuert.

Kann man diese Entwicklung auch umgekehrt nutzen und z.B. tolle Stores im Hotel- und Restaurantkontext nutzen? Inwieweit ist das sinnvoll bzw. machbar?
Einkaufsmöglichkeiten in Hotels sind ja eigentlich nichts Neues. In Asien haben sogar viele europäische Monobrands hier ihren Markteintritt gestartet. Dieses Model lässt sich auch auf Europa übertragen. Denken Sie an die vielen Business- und Tagungsbesucher, denen die Zeit für ein ausgedehntes Shopping fehlt.

Im Vergleich zur Hotelbranche ist der Druck nach ständiger Anpassung im Retail noch höher, der Update-Zyklus kürzer. Dennoch gibt es viele Parallelen. Als gleichartige Herausforderungen nannten Sie in Ihrem Vortrag „gezielte Marktpositionierung, permanente Innovationen, Flexibilität sowie Lern- und Anpassungsfähigkeit, kluges Preismarketing und ganzheitliche Kundenorientierung.“ Welche konkreten Erfahrungswerte könnte ein Hotelier hier aus dem Retail mitnehmen?
Mit dem Trend der Individualisierung rücken Gäste und Kunden von standardisierten Lösungen ab, sie verlangen einzigartige, nachhaltige Erlebnisse – ob im Urlaub oder beim Einkauf. Eng damit verknüpft ist die Tatsache, dass Menschen heute stets das Neue, das Unerwartete, das Überraschende suchen. Unsere Aufgabe ist es, Räume und Orte zu schaffen, die begeistern und inspirieren, vielleicht sogar Perspektiven eröffnen. Daher ist es unser Ziel, die Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten.
Auch Hotels müssen sich mehr denn je als eigene Marke verstehen, die sich mit Originalität und Persönlichkeit im Markt abhebt. Das bedeutet auch im Service nicht nur in die Breite zu gehen, sondern auch in die Tiefe. Ein Beispiel aus dem Handel ist das Curated Shopping. Der Handel kann Vorbild dafür sein, wie man den Kunden das Gefühl gibt, sie zu kennen und ihnen individuell begegnet. In der gehobenen Hotellerie ist das zweifelsohne bereits der Fall – dank hohem Personaleinsatz. Digitale Kanäle ermöglichen es nun, zusätzliches, teil statistisches Feedback zu bekommen und es gewinnbringend in den eigenen Service einfließen zu lassen.
Auch das Thema Erschließung und Wegführung ist ein gutes Beispiel. Für Malls oder große Handelshäuser ist es unerlässlich, dass sich der Kunde zurechtfindet. Je intuitiver, desto besser. Professionelle Wege- und Leitsysteme sind ein absolutes Muss. In Hotels wird der Gast dagegen oft alleingelassen. Dabei spielt die Orientierung eine maßgebliche Rolle für das Wohlbefinden – auch bei Hotelgästen. Gerade hier verfügen Retailplaner über ein kompetentes Fachwissen, das auch für Hotels erfolgreich eingesetzt werden kann.

Kontakt & weiterführende Infos
Web: www.blocherblocher.com

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Kategorie: Innovationen, Schlagzeilen

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